Die Rückführung ist alternativlos

Zu dem Tarifabschluss für die Vivantes Tochterbetriebe

Bevor wir uns den derzeitigen Stand der Tarifauseinandersetzung bei den Vivantes Tochtergesellschaften ansehen, müssen noch ein paar Worte über seine Historie erläutert werden.

Der Berliner Senat und ver.di beschließen um das Millennium herum die privatwirtschaftliche Ausrichtung seiner städtischen Krankenhäuser und ebnen dabei den Weg für Ausgründungen und Tarifflucht in Landesverantwortung.

2016 kommt es bei der Vivantes Service GmbH (VSG) erstmals zu Arbeitskämpfen mit dem Ziel, der Tarifflucht ein Ende zu setzen. Diese Auseinandersetzung dauert satte 2 Jahre und wurde am Ende nach zahlreichen Streiks und Verhandlungen mit einem 52 Tage andauernden Streik und einem Haustarifvertrag 2018 beendet. Aus dem Senat, der Geschäftsführung und von ver.di-Verantwortlichen war damals zu vernehmen, man wolle den Weg in den TVöD „wirtschaftlich absichern und daher müsse man schrittweise über einen längeren Zeitraum die Tarife angleichen.

Mit Auslaufen des Tarifvertrages wurde der nächste Schritt unternommen und die VSG beteiligte sich 2021 zusammen mit weiteren Tochtergesellschaften am Tarifkampf des Mutterkonzerns Vivantes. Der Forderung ihrer Pflegekolleg*innen nach mehr Personal fügten die Tochterbeschäftigten ihre Forderungen nach TVöD für Alle und Rückführung in den Mutterbetrieb hinzu.

Auch hier kam es nach einem halben Jahr Arbeitskampf nur zu weiteren Haustarifverträgen mit dem Ziel eines „wirtschaftlich abgesicherten Weges in den TVöD 100%.

Es ist den Gewerkschaftsmitgliedern zwar gelungen, die Entgeltstrukturen des TVöDs zu übernehmen, aber schon die Tatsache, dass ver.di hier vier verschiedene Entgelttabellen im Tarifwerk zugelassen hat, ist hanebüchen. Jeder dieser Entgelttarifverträge hat dabei seine Besonderheiten.

Neben unterschiedlichen prozentual herabgesetzten Entgelten für die jeweilige Tochtergesellschaft und einer bis heute unklaren Eingruppierung der Beschäftigten in die Entgeltordnung des VKA/TVöD gibt es eindeutige Passagen in zumindest zwei Entgelttarifverträgen, die ein deutliches Zeichen für die Aushöhlung der Tarifwerke unter angeblicher Wirtschaftlichkeit darstellen.

Aber eins nach dem anderen.

Die Entgeltordnung des VKA/TVöD ist bis heute im Bereich der handwerklichen Tätigkeiten (Reinigung, Technik etc.) nicht klar geregelt und eher schwammig formuliert. Kunststück: Bisher findet hier ja auch eher die gewerkschaftlich begleitete Flächentarifvertragsflucht statt, und es bestand gar keine Notwendigkeit aus Sicht aller „Expert*innen“, hier etwas eindeutig zu regeln. Die Entgelttabellen in den Vivantes Tochtergesellschaften orientieren sich also in den unteren Entgeltgruppen eher daran, dass man den Landesmindestlohn (von damals 12,50 Euro) nicht unterschreitet. (Im Übrigen werden die nunmehr 13 Euro Mindestlohn bei Vivantes nur mit Zulagen für Wochenendarbeit erreicht, damit zahlt Vivantes aus unserer Sicht als einziges Landesunternehmen bis heute keinen Landesmindestlohn.)

Die Vivantes Personal Geschäftsführung, die sich mittlerweile fast ausschließlich aus Ex-Helios Manager*innen rekrutiert, gruppiert ihre Beschäftigten so schlecht wie möglich ein.

Dem Vivantes Betriebsrat bleibt es überlassen, nun für fast 3.000 Beschäftigte die korrekte Eingruppierung beim Landes-Arbeitsgericht einzuklagen. Ein langwieriger Prozess, bei dem nicht sicher ist, ob er mit Auslaufen des Haustarifvertrages abgeschlossen ist.

Halten wir fest: abgesenkte Tabellen unter Landesmindestlohn und nicht geklärte Eingruppierungen in einem landeseigenen Gesundheitsunternehmen.

Aber es geht noch abstruser – Flexibilisierung des Tarifvertrages

Im Entgelttarifvertrag der Medizinischen Versorgungszentren (MVZ) gibt es einen Passus, der die Tarifsteigerungen an die Budgetverhandlungen mit der Kassenärztlichen Vereinigung (GKV) bindet. Die Tarifsteigerungen dürfen also nicht höher ausfallen. Für 2023 hatten diese Verhandlungen eine 2%ige Erhöhung vorgesehen und lagen in den vergangenen Jahren sogar noch darunter.

Bei der Vivantes Rehabilitation (Reha) ist es ähnlich. Hier wird die Tarifsteigerung ab dem Jahr 2023 an die Verhandlungen mit den Krankenkassen gebunden. Sollte es hier ein geringeres Verhandlungsergebnis mit den Kostenträgern geben, ist der Entgelttarifvertrag kündbar.

Wir halten wieder fest: Die Entgelte der Beschäftigten sind abhängig von „wirtschaftlichen“ Budgetverhandlungen, auf die sie nicht die Bohne Einfluss haben. Der Gehaltsunterschied zum TVöD wird sich wieder vergrößern.

Hoffnung TVöD Runde

Große Hoffnung wurde von Kolleginnen und Kollegen auf die diesjährige Tarifrunde im öffentlichen Dienst gesetzt. Schließlich wurde auch durch die Berliner Politik, insbesondere vom SPD-Fraktionsvorsitzenden Raed Saleh, deutlich gemacht, dass sich die Schere zwischen TVöD und Haustarifverträgen der Tochtergesellschaften nicht weiter öffnen darf. Dank der Anerkennung der Entgeltordnung VKA/TVöD hatten die Beschäftigten der Vivantes Tochtergesellschaften erstmals die Möglichkeit, dafür mitzukämpfen und nutzen diese Gelegenheit auch kräftig.

Leider gibt es im TV-VT (Tarifvertrag der Vivantes Tochtergesellschaften) auch hier wieder einen „wirtschaftlich“ absurd begründeten Passus, der bedeutet, dass ihnen die erkämpften Lohnerhöhungen erst ein Jahr später ausgezahlt werden.

Nun kennen wir alle das (vorläufige) Ergebnis dieser TVöD Runde. Im Jahr 2023 gibt es nur ein steuerfreies Almosen. Die von ver.di hoch gelobten Entgelterhöhungen starten erst ab März 2024. Somit gibt es für die Tochtergesellschaften der Vivantes also erst 2025 ernst zu nehmende Lohnsteigerungen.

Fazit

Die Auflösung der Tariffluchtunternehmen in öffentlicher Hand und die Rückführung der dort Beschäftigten in den Mutterkonzern ist alternativlos. Alle Kompromisse der gewerkschaftlich organisierten Kolleg*innen sind an der finanziellen Unterversorgung der öffentlichen Daseinsvorsorge, dem Kriegs- und Krisenhaushalt, der Profitgier privater Gesundheitsversorger, der angeblichen Sozialpartnerschaft und dem damit entstandenen wirtschaftlichen Druck gescheitert.

Schon heute verlassen regelmäßig Beschäftigte das Unternehmen, da sie in anderen Sektoren bessere Löhne und Arbeitsbedingungen vorfinden. Vivantes kompensiert das zunehmend mit der Vergabe von Leistungen an Fremdunternehmen. So im Bereich der Wäschelogistik zum Beispiel.

Wenn der Berliner Senat seiner Verantwortung für eine Sicherstellung der öffentlichen Daseinsvorsorge tatsächlich gerecht werden will, MUSS ER JETZT HANDELN.

Dafür müssen sich die Kolleg*innen mit ihrer Gewerkschaft ver.di sofort einsetzen.

Mario Kunze, BR Vivantes

 Aus: Soziale Politik & Demokratie Nr. 487 vom 4. Mai 2023

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