„Schnellstmöglich“!?

Senat verspricht Rückführung der Tochterbetriebe von Vivantes und Charité

Gespräch mit Sascha Kraft (ver.di Betriebsrat)

Frage: Kolleg*innen der CFM und der Töchter von Vivantes waren am 28. April beim traditionellen Empfang des Regierenden Bürgermeisters am Vorabend des 1. Mai, einen Tag nachdem Kai Wegner (CDU) im Abgeordnetenhaus erst in dritten Wahlgang gewählt wurde – und damit der Start des CDU-SPD-Senats, der „durchstarten“ wollte, gleich in die Hose ging. Wie war es bei dem Empfang?

Sascha: Wir waren ja nicht zum ersten Mal beim Mai-Empfang der Regierenden Bürgermeister. Diesmal hatten wir unser Transparent „Verantwortung des Senats: CFM in die Charité zurückführen“ und Schilder mitgebracht, auf denen – unter anderem – zu lesen war „Wo bleibt der von der Politik versprochene Inflationsausgleich für die CFM-Beschäftigten und Rückführung der Töchter von Vivantes & Charité (CFM ) sofort umsetzen im Senat“

Frage: War etwas anders als in den vergangenen Jahren?

Sascha: Naja, wir standen für eine ganze Zeit im Mittelpunkt dieses Empfangs. Die Stimmung der anwesenden Gewerkschaftskolleg*innen war komplett auf unserer Seite, wir waren keine „Exoten“ oder „Störenfriede“ bei dem Empfang. Die Forderung nach der Auflösung der CFM und ihre Eingliederung in die Charité haben wir ja schon seit Jahren am 1. Mai platzieren können. Kai Wegner kam zu den Kolleg*innen der CFM, an deren Seite auch Kolleg*innen der Vivantes Tochtergesellschaften standen, um mit uns ins Gespräch zu kommen. In seiner Rede sagte er, „dass wir schnellstmöglich die Töchter zurückführen müssen (…). Sie haben die feste Zusage dieser Koalition und wir werden es auch machen.“ Kai Wegner positionierte sich hinter unserem Transparent an der Seite der Kolleg*innen, um Gelegenheit zu Fotos zu geben. Wer weiß, ob und wann wir diese Bilder möglicherweise wieder hervorholen müssen…

Frage: Das erinnert an die Worte des Regierenden Bürgermeister Michael Müller in seiner Rede am 1. Mai 2017 in Berlin: „Und es ist ganz deutlich, dass wir ernst machen … die Zeit des Outsourcings und der Privatisierung ist vorbei. Und die CFM wird in dieser Legislaturperiode wie angekündigt in die Charité eingegliedert werden…“ Die Rückführung ist bis heute ausgeblieben.

Sascha: Die privaten Anteilseigner, Dussmann & Co., wurden unter dem Müller-Senat aus der CFM herausgekauft. Damit war die CFM wieder 100-prozentig ein landeseigenes Unternehmen. Den Schritt hin zu einem Tarifvertrag in Richtung TVöD hat der Senat nicht angegangen – obwohl er ja nun komplett der eigentliche Arbeitgeber war. Den Tarifvertrag, der dann 2021 zustande kam, mussten wir uns selbst mit unserer Gewerkschaft ver.di erkämpfen. In harten Auseinandersetzungen, mit 85 Streiktagen. Bei Vivantes war es ähnlich. Zwar konnten die Therapeut*innen die Reintegration in die Muttergesellschaft erreichen – zusammen auch mit denen der Charité. Aber der Tarifvertrag für die verschiedenen Vivantes-Töchter musste ebenfalls erkämpft werden – auch hier mit dem Mittel von Streiks.

Frage: Die Versprechungen hinsichtlich der Reintegration der CFM in die Charité, die es schon seit mindestens 6 Jahren gibt, finden wir im Koalitionsvertrag von CDU und SPD vom 3. April wieder: „Die Koalition wird die Rückführung der Tochterunternehmen der landeseigenen Krankenhäuser schnellstmöglich durchführen.

Sascha: Die Rückführung ist längst überfällig und das Verschleppen dieser politischen Entscheidung skandalös in den Augen der übergroßen Mehrheit der Beschäftigten. In einer ver.di-Stellungnahme vom 4. April begrüßt ver.di die „schnellstmögliche Rückführung“ und „regt an, diese zum 1.1.2024 abzuschließen“. Dafür muss ver.di jetzt aber auch aktiv werden, gestützt auf die gewerkschaftlich organisierten Kolleg*innen der CFM.

Frage: Während des Wahlkampfes zur Wiederholungswahl waren SPD und CDU sichtlich bemüht, sich konkreter hinsichtlich der Rückführung zu äußern. So hat Kai Wegner in einer Antwort an den Gewerkschaftlichen Aktionsausschuss gegen prekäre Arbeit in Landesverantwortung geschrieben: „Die Rückführung der CFM und der Vivantes Tochterunternehmen in die Mutter-Konzerne muss schnellstmöglich erfolgen. Das bedeutet, dass das Ende der Legislaturperiode der spätestmögliche Zeitpunkt ist. (…) Wir brauchen jetzt umgehend einen klaren Fahrplan mit transparentem Zeithorizont und einzelnen, nachprüfbaren Zwischenschritten.“ Ähnlich hat sich Raed Saleh, der Ko-Vorsitzende der Berliner SPD geäußert. Das Ende der Legislatur ist 2026…

Sascha: Es gilt jetzt, diese Äußerung nicht vergessen zu machen, sondern unmittelbar einzufordern. Wir sollten als gewerkschaftlich aktive Kolleg*innen mit unserer Gewerkschaft ver.di überlegen, welche Schritte wir tun können, um den Druck auf den Senat zu erhöhen. Zum Beispiel durch Delegationen zu Mitgliedern des Abgeordnetenhauses. Es gibt eine Reihe von Abgeordneten aus der SPD-Fraktion, die uns in der Vergangenheit unterstützt haben. Die CDU-Fraktion wird man ebenfalls adressieren müssen. Und dann stehen spätestens im Herbst die Beratungen zum Doppelhaushalt 2024/2025 an. Es ist davon auszugehen, dass dann die Weichen gestellt werden. Es darf zu keiner neuen Kaputtsparpolitik kommen.  Es waren immer in erster Linie die Finanzsenatoren sowohl unter Rot-Rot-Grün wie unter Rot-Grün-Rot, die das Geschäftsmodell Prekäre Arbeit aufrechterhalten wollten – zur „Konsolidierung des Landeshaushaltes“.

Frage: Auch wenn von „schnellstmöglicher“ Rückführung der Tochterunternehmen gesprochen wird, wird diese politische Entscheidung und deren Umsetzung nicht von einem Tag auf den anderen erfolgen. Die Beschäftigten in den Tochterunternehmen, die zum größten Teil im Niedriglohnbereich arbeiten, erleben heute und schon seit mehr als eineinhalb Jahren eine grassierende Inflation, die sie an den Rand ihrer Existenzbedingungen bringt. Im Koalitionsvertrag spielt die Inflation keine Rolle, von „Inflationsausgleich“ ist keine Rede…

Sascha: Das hat ver.di Berlin in der Stellungnahme zum Koalitionsvertrag vom 4. April kritisiert. Ich zitiere: „Uns fehlt eine Aussage zum Inflationsausgleich für die Beschäftigten der landeseigenen Krankenhaus-Tochterunternehmen für 2023. SPD und CDU haben vor der Wahl zugesagt, einen Inflationsausgleich entsprechend dem TVöD-Abschluss zu übertragen. Ohne eine schnelle Lösung rutschen bis zu 6.000 Beschäftigte der öffentlichen Krankenhäuser in den Reallohnverlust, sollten sie nicht von den Tarifsteigerungen im TVöD profitieren.

Mit unserem Tarifkampf vor zwei Jahren konnten wir für die Beschäftigten den Abstand zum TVöD verringern. Allerdings konnten wir im Tarifvertrag keinen Bezug zum TVöD herstellen. Der Abschluss bei der CFM lag vor der Inflation und vor dem Krieg, der dazu führt, dass die Verteuerung fortdauern wird. Auch im April lag die Inflation noch über 7% und es sind weiterhin die Lebensmittel, die sich besonders verteuern, also das, was die Niedriglöhner besonders trifft.

Unser Tarifvertrag hat eine Laufzeit bis zu 31.12.2024(!). Nach dem TVöD-Abschluss wird sich die Schere zu dem Flächentarifvertrag, an den wir angeschlossen werden wollen, weiter öffnen, und zwar erheblich. Wir können nicht akzeptieren, dass wir uns dem Ziel „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ nicht nähern, sondern wieder davon entfernen. Das ist nicht das, wofür wir gekämpft haben.

Frage: Während des Wahlkampfes hat ver.di Berlin die Aktion Lohnrettung gestartet, um für die Beschäftigten im Verantwortungsbereich des Landes Berlin einen echten, vollständigen Inflationsausgleich zu erreichen – vom Senat.

Sascha: Diese Initiative ist entstanden durch die Aktivitäten der Beschäftigten der Vivantes-Töchter, der CFM und an den Hochschulen, insbesondere der studentischen Beschäftigten.

Inzwischen hat die Vivantes-Geschäftsführung für die Tochterbetriebe die Zahlung jener 3.000 Euro „Inflationsausgleichsprämie“, die auch im TVöD-Abschluss (vorbehaltlich der Zustimmung der ver.di Mitglieder) Eingang für die Zeit bis Februar 2024 gefunden hat, angeboten. Hier von „Prämie“ zu sprechen, wie es immer wieder zu hören ist, ist der reinste Hohn – aber das nur nebenbei. Für die CFM gibt es ein solches Angebot der Charité bisher nicht, wahrscheinlich auch nicht für die Beschäftigten an den Hochschulen. Zusätzliche Zahlungen in einer Summe von 3.000 Euro in diesem Jahr bedeuten für viele Kolleg*innen eine Menge Geld – angefangen bei denen der Reinigung, der Krankentransporte, der Sicherheit, aber auch für fast alle anderen. Als aktive Gewerkschafter*innen haben wir diese Einmalzahlungen, die nicht tabellen- und rentenwirksam sind, abgelehnt. Sie lösen für uns, mit einem Tarifvertrag mit einer Laufzeit bis Ende 2024, das Problem nicht. Für uns liegt weiter auf dem Tisch: Anschluss an den TVöD, vollständiger Inflationsausgleich durch Tarifvertrag, wenn nötig durch Neuverhandlung vor Ablauf der „Friedenspflicht“ – und in Zukunft inflationssichere Tarifverträge.

Die Ausfinanzierung der Tarifverträge liegt in der Verantwortung des Abgeordnetenhauses und des Senats, genauso wie die Rückführung der ausgegründeten Bereiche in Landesverantwortung.

Eins ist aber klar: Erst eine saubere Rückführung – mit korrekten Eingruppierungen – wird das Kapitel von zwei Jahrzehnten Tarifflucht und Lohndumping schließen können.

Frage: Schnellstmöglich?

Sascha: Klar! Wir geben nicht auf! Und der Senat kann auch durch eine Gesellschafteranweisung an die Mutterkonzerne Charité und Vivantes die Rückführung jetzt schon schriftlich anweisen. Damit Verhandlungen zum Überleitungsvertrag der Töchter beginnen und sie so in die Charité und in Vivantes zum 01.01.2024 zurückgeführt werden können. Daran würde man auch erkennen,  dass der neue Senat es auch ernst meint mit den Rückführungen der Töchter. Wir geben erst auf, wenn der letzte Beschäftigte aus den Töchtern CFM & Vivantes in den Mutterkonzernen zurückgeführt wurde und der TVÖD angewendet wird und gleicher Lohn für gleiche Arbeit gilt.

Aus: Soziale Politik & Demokratie Nr. 487 vom 4. Mai 2023

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